In der Kurzgeschichtensammlung Meine Frauen kommen Frauen zu Wort – Frauen, deren Perspektiven oft überhört oder verdrängt werden. Es sind Stimmen von Menschen, die schwere Verluste erlebt haben, die ausgehalten, gekämpft oder sich zurückgezogen haben. Die Geschichten sind kurz, eindringlich und berührend. Sie erzählen von vielfältigen Lebenserfahrungen im Kontext des Krieges – manchmal leise, manchmal schonungslos, immer aber mit großer emotionaler Tiefe.
Meine Frauen wurden in der Ukraine, Österreich, Italien, Frankreich, Schweden, der Slowakei und den Vereinigten Staaten von Amerika veröffentlicht.
Anfang März 2022 konnte ich nicht schlafen. Nächtelang lag ich auf dem ausziehbaren Bett meiner Eltern auf dem Land in der Nähe von Charkiw und verfolgte die neuesten Nachrichten. Ich war dort mit meinem neunjährigen Sohn und zwei evakuierten Katzen. Mein Mann war in Charkiw geblieben und hatte sich als Freiwilliger zur Verteidigung unserer Stadt gemeldet. Die Fenster im Elternhaus waren mit Tüchern aus Omas schwarzem Stoff abgedeckt, den sie einmal „zum Sterben“ gekauft hatte. Sie war ein Jahr vor dem großflächigen Krieg gestorben und jetzt retteten ihre Tücher uns das Leben. Von Charkiw her donnerte es Tag und Nacht, in der Dunkelheit hing über der Stadt ein tiefroter Himmel. Niemand wusste, was weiter geschehen würde.
Den 9. März 2022 werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. An jenem Tag kehrte ich in die Stadt zurück, mit einem Sack Medikamente für die Soldaten der Einheit meines Mannes. Ich sah das arg mitgenommene Stadtzentrum, den zur Ruinenlandschaft entstellten Bezirk Saltiwka – und konnte zum ersten Mal wieder normal einschlafen. Nach ein paar Tagen postete ich auf Facebook: Ich glaube an die ukrainischen Streitkräfte und gehe ohne Unterhose zu Bett.
An diesen Post erinnerte ich mich wieder im vorigen Herbst, als ich plötzlich das Bedürfnis verspürte, diesen Krieg in Geschichten von Frauen zu erzählen. Die erste Geschichte sollte von jener Frau handeln, die Angst hatte, ohne Unterhose zu sterben. Nach dieser Geschichte kamen andere, Geschichten von namenlosen Frauen, die im Krieg lebten, mit dem Krieg und gegen den Krieg. Jede dieser Frauengeschichten handelt von niemandem konkret, gleichzeitig aber von uns allen.
Meine Frauen sprechen von Alltäglichem und Monströsem. Meine Frauen teilen Schmerz und Verzweiflung. Meine Frauen glauben und warten. Meine Frauen halten sich tapfer, auch wenn sie keinen festen Boden mehr finden. Meine Frauen wissen den Wert eines jeden Tages zu schätzen. Meine Frauen wollen gehört werden, und zwar von der ganzen Welt. Meine Frauen geben sich Mühe trotz allem weiterzuleben.
Zweisprachige Ausgabe Ukrainisch/Deutsch
Übersetzung von Chrystyna Nazarkewytsch und Harald Fleischmann
Yuliia Iliukha, geboren 1982, ist eine ukrainische Schriftstellerin, Journalistin und Kolumnistin aus der Region Charkiw. Iliukha studierte Journalismus an der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw und schreibt für Erwachsene und Kinder. In der Ukraine erschienen die Romane The Eastern Syndrome (2019) und Zero (2023), der Kurzgeschichtenband The Sky Catchers. Teach Me to Dream (2016), die Gedichtsammlung Graphomaniac Poems (2022) sowie mehrere Kinderbücher.
2024 erscheinen die Kurzgeschichten My Women in der Ukraine, Italien und den USA. 2024 wurde das Buch zum BBC News Ukraine Book of the Year 2024 ernannt. Ein Jahr früher erhielt das Buch den International Chapbook Prize 2023.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Jahr 2014 engagiert sich Iliukha als Freiwillige vor allem in der Beschaffung von Erste-Hilfe-Ausrüstung. Im Juni 2022 verließ Yuliia Iliukha die Ukraine und flüchtete gemeinsam mit ihrem Sohn Ivan nach Österreich.