Eine Frau fährt an einem Sommermorgen in die Psychatrische Ambulanz, davon überzeugt den Tag nicht zu überstehen. Vielleicht kann sie sich dort ein bisschen ausruhen oder etwas arbeiten. Am Abend zuvor hat sie ihrem Freund eröffnet, dass sie ihn betrogen hat. Etwas ist zerbrochen.
Die Ich-Erzählerin, deren Name wir nicht kennen, ist Mutter, Tochter, Partnerin. Eine Frau, die auf sich schaut, sich fragt, wie sie an diesen Punkt ihres Lebens angelangt ist. Im Warterzimmer sitzend lässt sie Abschnitte ihrer Kindheit und ihres jungen Erwachsenenlebens Revue passieren. Allgegenwärtig ist Siegfried, ihr Stiefvater. Wir kennen wohl alle einen Siegfried – großgeworden während des Wirtschaftsaufschwungs der BRD, Anzugträger, Raucher, wohlhabend und über jedem Zweifel erhaben. Ein Mann, der sagt, was richtig und was falsch ist und dessen Urteil selten oder nie angezweifelt wird. In Antonia Baums Roman wird deutlich, wie sehr wir diesen männlichen, patriarchalen Blick verinnerlicht haben.
Die Erzäherlin spart viel aus, reißt Geschehnisse lediglich an und lädt die Situation dadurch mit umso mehr Bedeutung auf. Siegfried ist immer da, sei es nur gedanklich. Die subtilen Beschreibungen lösen oftmals ein Unbehangen aus, haben aber auch etwas soghaftes an sich, denn sie lassen die Lesenden nachfühlen, wie eine Frau sich von dem größten Spuk ihres Lebens befreit.
Eine Empfehlung von Laura Trelle